Wie Betriebe Ausbildungsabbrüche verhindern können

Einer von vier Azubis steigt frühzeitig aus seinem Ausbildungsverhältnis aus. In vielen Fällen ist eine Gratifikationskrise der Grund dafür. Doch es gibt Abhilfe: Mit der richtigen Gestaltung der Aufgaben können ausbildende Betriebe die Abbruchneigung in Grenzen halten und verhindern, dass wertvolle Ressourcen vergeudet werden, weiß Dr. Ernst Deuer, Professor für Personalmanagement und Mitarbeiterführung an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Ravensburg. Seit fast 20 Jahren beschäftigt er sich in eigenen Studien mit dem Thema Ausbildungsabbruch und Präventionsansätzen. Im Interview gibt er Tipps, wie Betriebe ihre Ausbildung gestalten und Gratifikationskrisen vermeiden können.

Viele Jugendliche haben eine falsche Vorstellung vom Ausbildungsberuf.
Viele Jugendliche haben eine falsche Vorstellung vom Ausbildungsberuf. © canva

AUBI-plus: Im Berufsbildungsbericht 2017 ist von einer Vertragslösungsquote von 24,9 Prozent die Rede. Einer von vier Auszubildenden macht als nicht weiter. Was sind die Gründe?

Dr. Ernst Deuer: Die Gründe für eine vorzeitige Beendigung des Ausbildungsvertrages sind vielfältig: Bei manchen Jugendlichen stecken schlicht und einfach falsche Berufsvorstellungen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Allergien dahinter – ein Bäckerlehrling mit Mehlstauballergie kann seinen Ausbildungsberuf natürlich nicht weiter ausüben. Auch Betriebsschließungen und die Fälle, in denen Jugendliche mehrere Ausbildungsverträge unterschrieben haben, aber nur eine Lehrstelle tatsächlich antreten, sind in der Statistik erfasst.

In über der Hälfte der vorzeitigen Vertragslösungen wechseln die Auszubildenden jedoch in ein anderes Ausbildungsverhältnis. Diese Fälle sind für die ausbildenden Unternehmen, denen die jungen Leute den Rücken kehren, besonders ärgerlich, da sie bereits einige Ressourcen in die Ausbildung der Nachwuchskräfte gesteckt haben. Um solche Absprünge in Zukunft zu vermeiden, müssen die Personalverantwortlichen nach den Ursachen forschen. In verschiedenen Studien werden von den Jugendlichen beispielsweise Konflikte mit Ausbildern und Vorgesetzten, eine mangelnde Ausbildungsqualität sowie ungünstige Arbeitsbedingungen als Gründe für ihren Ausbildungsplatz- und/oder Berufswechsel angeführt.

AUBI-plus: Was können die Ausbildungsbetriebe tun?

Dr. Ernst Deuer: Den Jugendlichen ist wichtig, dass die in der Ausbildung erbrachten Leistungen und die erfahrenen Belohnungen ausgewogen sind: Auszubildende, die sich stark engagieren und die ihnen übertragenen Aufgaben sehr ernst nehmen, erwarten im Gegenzug auch Anerkennung von ihrem Ausbilder. Gelobt werden, eine angemessene Ausbildungsvergütung erhalten, gute Aussichten auf eine Übernahme nach der Ausbildung haben – all dies sind Formen der Anerkennung. Fehlt sie, laufen die Auszubildenden Gefahr, in eine Gratifikationskrise zu geraten und die Ausbildung abzubrechen.

Auch die Gestaltung der Arbeitsaufgaben müssen Ausbilder und Ausbildungsverantwortliche genau unter die Lupe nehmen. Dr. Andreas Rausch und Thomas Schley vom Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik der Otto-Friedrich-Universität Bamberg haben 10 erlebens- und lernförderliche Merkmale von Arbeitsaufgaben herausgearbeitet, auf die ich in meinen Studien zurückgegriffen habe.

AUBI-plus: Was sind das für Merkmale?

Dr. Ernst Deuer: Jedes dieser Merkmale en détail aufzuzählen, würde wahrscheinlich den Rahmen sprengen. Zusammenfassend kann man sagen: Je besser diese Merkmale erfüllt sind, desto motivierter sind die Jugendlichen bei der Sache und desto geringer ist ihre Abbruchneigung. Die heutige Jugend will herausgefordert, aber nicht überfordert werden. Statt Routine suchen die jungen Leute vielfältige, abwechslungsreiche Aufgaben, die einen Nutzen haben, z. B. für die Gesellschaft oder die Umwelt. Sie möchten gewisse Freiräume zugestanden bekommen, (kleinere) Entscheidungen selber treffen und ihre Zeit selber einteilen. Ihre Aufgaben möchten sie nicht im stillen Kämmerlein, sondern in der Interaktion mit anderen erfüllen. Statt einer kleinen Teilaufgabe soll es lieber eine ganzheitliche Aufgabenstellung von der Planung bis zur Kontrolle der Arbeitsergebnisse sein.

Für die Motivation ist es auch besonders wichtig, zeitnah eine Rückmeldung zu Arbeitsergebnissen zu bekommen. Entweder können die Jugendlichen aus der Aufgabe heraus selber Rückschlüsse auf den Zielerreichungsgrad ziehen, oder sie bekommen Feedback von ihrem Betreuer. Und natürlich wollen sie bei ihrer Arbeit nicht ständig gestört oder unterbrochen werden.

AUBI-plus: Das sind hohe Ansprüche. Wie können Ausbildungsbetriebe diese Erwartungen erfüllen?

Dr. Ernst Deuer: Diese Vorstellungen sind natürlich Idealvorstellungen und das Ergebnis allgemeiner Erhebungen. Und allgemeine Handlungsempfehlungen auszusprechen, ist angesichts der Heterogenität der ausbildenden Unternehmen schwer. Wo der einzelne Ausbildungsbetrieb bei der Gestaltung der Arbeitsaufgaben und der Betreuung durch die Ausbildungsbeauftragten konkret ansetzen kann, lässt sich u. a. durch eine Auszubildendenbefragung feststellen. Betriebe, die so eine Befragung nicht im Alleingang auf die Beine stellen können oder möchten, können auf Dienstleister zurückgreifen. „Ich bearbeite Arbeitsaufträge von der Planung bis zur Qualitätskontrolle“, „Ich erhalte regelmäßiges Feedback von meinem Betreuer“, „Mein Arbeitsplatz ist so ausgestattet, dass ich meine Aufgaben gut ausführen kann“ sind Auszüge aus dem Fragenkatalog, der beispielsweise bei dem Zertifizierungsverfahren BEST PLACE TO LEARN® verwendet wird.

Der Kommunikation zwischen den Ausbildungsbeauftragten und ihren Schützlingen kommt dabei in allen Studien eine besondere Bedeutung zu: Zuerst müssen die Ausbildungsinhalte verständlich vermittelt, Aufgaben gut erklärt und Erwartungen klar formuliert werden. Die Ausbildungsbeauftragten müssen erreichbar und ansprechbar sein - nicht nur bei Problemen. Dann sollen sie regelmäßig Rückmeldung geben, Lob und Anerkennung aussprechen sowie Hilfestellung zur Reflexion und Nachbesserung bieten. Ganz wichtig dabei ist ein konstruktiver Umgang mit Fehlern!

Ein weiteres wichtiges Thema sind die Perspektiven des Azubis. Dazu zählen zum einen die Übernahmechancen nach der Ausbildung und der sich daran anschließende Entwicklungspfad, aber auch die Übernahme von Sonderaufgaben und die Mitarbeit an Projekten während der Ausbildung.

AUBI-plus: Welchen abschließenden Rat geben Sie ausbildenden Unternehmen?

Dr. Ernst Deuer: Ausbildungsbetriebe müssen sich stärker bewusst machen, wer die eigentliche Ausbildungsarbeit im Unternehmen leistet. Das sind nicht die hauptamtlichen Ausbilder, die die Ausbildungspläne erstellen und den Ablauf koordinieren, sondern es sind die Mitarbeiter in den Fachabteilungen, die als Ausbildungsbeauftragte fungieren – zusätzlich zu ihren eigentlichen Aufgaben. Sie sind diejenigen, die tagtäglich mit den Azubis zu tun haben, sie unterweisen und mit ihnen kommunizieren.

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