Azubis im Ausland rekrutieren – ergibt das Sinn?
Ist die Not groß genug, kommt man auf die ungewöhnlichsten Ideen. Und die Not – in diesem Fall die fehlenden Nachwuchskräfte – ist sehr groß. Zwar gibt es bekanntermaßen einige Unterschiede nach Branchen und Regionen, aber die Zahl der nicht zu besetzenden Ausbildungsplätze spricht eine deutliche Sprache. Also könnte man einmal dort suchen, wo andere es vielleicht nicht tun. Hierzu finden Sie in unserer Artikelserie „Azubi-Recruiting mal anders“ eine ganze Reihe von Anregungen. Diesmal wollen wir uns mit dem Thema „Azubi-Recruiting aus dem Ausland“ beschäftigen.
Inhalt
- Die Idee
- Die Sprache
- Der vorzeitige Abbruch
- Die rechtlichen Hürden
- Was braucht man noch?
- Weitere Hilfen
Die Idee
Im April 2023 waren 13,8 Prozent der arbeitswilligen Jugendlichen in der EU ohne Job und Ausbildung. Dabei variieren die Zahlen je nach Mitgliedsstaat erheblich. Die höchste Quote gibt es in Spanien mit 28,4 Prozent, am niedrigsten liegt sie aktuell in Deutschland mit 6,1 Prozent. Hohe Arbeitslosigkeit (mit über 20 Prozent) gibt es auch in Griechenland, Rumänien, Schweden und Italien. Warum also nicht in diesen Ländern nach geeigneten Nachwuchskräften suchen und den jungen Menschen eine Berufsausbildung ermöglichen? Die Frage ist nur: Wie?
- Zum einen gibt es kommerzielle Anbieter, die durch ihre Kontakte im Ausland ausbildungsinteressierte Personen vermitteln können.
- Es geht aber auch über die Bundesagentur für Arbeit. Hier ist die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) die richtige Anlaufstelle.
- Helfen können auch private Kanäle Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aus dem Ausland kommen und dorthin ja oft noch familiäre oder freundschaftliche Kontakte haben.
- Oder Sie haben Geschäftskontakte in andere Länder und verbreiten Ihr Ausbildungsplatzangebot auf diesem Wege.
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Die Sprache
Ja, die Sprache kann ein Problem sein. Ohne ausreichende Deutschkenntnisse ist eine vernünftige Ausbildung kaum möglich. Nur in einigen Ländern wird Deutsch als Schulfach angeboten, sodass (zumindest rudimentäre) Deutschkenntnisse wohl nur im Ausnahmefall vorhanden sein dürften. Deshalb sollte der eigentlichen Ausbildung eine Orientierungszeit vorangestellt werden, in der die deutsche Sprache erlernt und erste Grundkenntnisse – auch unserer Kultur – vermittelt werden. Alternativ kommt auch ein Online-Training infrage, dass die neuen Azubis bereits in ihrer Heimat absolvieren können.
Der „Rest“ kommt dann im Rahmen der Ausbildung. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die jeweiligen Ausbildungsbeauftragten selbst über gute Deutschkenntnisse verfügen und auch die nötige Geduld mitbringen. Ideal wären zweisprachige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, also beispielsweise Landsleute, die selbst schon viele Jahre in Deutschland leben. Sprachunterricht kann auch neben der eigentlichen Ausbildung organisiert werden. Die Berufsschule sollte im Vorfeld über die möglichen sprachlichen Defizite der Azubis informiert werden, um Missverständnisse und fehlerhafte Beurteilungen zu vermeiden.
Geprüfte Sprachlernkurse werden in vielen Regionen auch durch die IHK oder die Handwerkskammer vermittelt. Fragen Sie einfach dort nach.
Der vorzeitige Abbruch
Die Abbruchquote in der dualen Ausbildung ist ohnehin ein Problem. Aktuell wird rund ein Viertel der Ausbildungsverträge vorzeitig beendet. Bei Auszubildenden aus dem Ausland ist diese noch einmal deutlich höher. Die Gründe dafür sind vielfältig, eine aussagekräftige Statistik dazu gibt es leider nicht. Aber eine Reihe von Gründen liegt auf der Hand. Die häufigste Ursache ist das klassische Heimweh.
Der Fortgang in ein fremdes Land ist zunächst ein Abenteuer, das mit viel Elan und Enthusiasmus eingegangen wird - bis der Alltag zuschlägt. Dann kommt es darauf an, ob ein soziales Umfeld besteht, dass den jungen Menschen auffangen kann, oder ob er allein damit klarkommen muss – was eben oft nicht gelingt. Deshalb ist neben der fachlichen Unterweisung die persönliche Betreuung so wichtig. Praxisbeispiele zeigen, dass immer dort, wo ein besonders enger persönlicher Kontakt besteht, die Abbruchquote minimiert werden kann. So hat beispielsweise ein mittelgroßer Handwerksbetrieb (Familienunternehmen) „seinen“ Azubi mit in den Haushalt aufgenommen. So etwas ist eine Möglichkeit.
Bewährt haben sich Patenschaften mit einzelnen Mitarbeitenden, die auch für persönliche Belange als Ansprechperson zur Verfügung stehen. Idealerweise haben sie dieselbe Herkunft wie der Azubi und sprechen seine Sprache. Entscheidender ist aber die Empathie und die Bereitschaft, auf die jungen Menschen einzugehen und sie zu unterstützen. Die Patin bzw. der Pate kann, muss aber nicht, gleichzeitig als Ausbildungsbeauftragter fungieren.
In anderen Fällen hat sich gezeigt, dass es die Eingewöhnung erleichtert, wenn Kontakt zu anderen jungen Menschen besteht. Das kann durch die Einstellung gleich mehrerer Auszubildender gelingen, oder aber durch den Kontakt zu Azubis in anderen Betrieben derselben Region. Gibt es mehrere Azubis, die für eine solche Community in Frage kommen, kann man ggf. eine entsprechende Wohngemeinschaft organisieren. So ist sichergestellt, dass niemand allein bleibt und immer einen – gleichaltrigen – Ansprechpartner zur Verfügung hat. Gleichzeitig sind die Auszubildenden gezwungen, auch im Privaten Deutsch zu sprechen, was ihren Spracherwerb beschleunigt.
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Die rechtlichen Hürden
Auszubildende aus einem anderen EU-Staat einstellen? Sollte doch kein Problem sein, kann es aber leider doch. Zunächst ist zu prüfen, ob die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb Europas, also das Recht Wohnsitz und Arbeit frei zu wählen, für den gewünschten Kandidaten gilt. Bei einer entsprechenden Zugehörigkeit zu einem Mitgliedsstaat ist das der Fall.
Anders verhält es sich, wenn die Kandidatin bzw. der Kandidat zwar in einem anderen EU-Staat lebt, aber eine andere Staatsangehörigkeit hat, also aus einem sogenannten Drittstaat stammt. Dann wird es kompliziert. Es ist nämlich zu prüfen, ob die für den aktuellen EU-Staat ausgesprochene Aufenthalts- und ggf. Arbeitserlaubnis auch für andere Staaten, also in diesem Fall für Deutschland, gilt. Das muss nicht automatisch der Fall sein. Dann müssten die erforderlichen Erlaubnisse im Vorfeld beantragt werden. Gleiches gilt entsprechend, wenn der Herkunftsstaat nicht zur EU gehört. Bei einigen Staaten (z. B. für die EWR-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen sowie für die Schweiz) gibt es Sonderregelungen.
Ob eine solche Erlaubnis erteilt wird und wie lange dies dauert, hängt von vielen Faktoren ab. Bei einer Einreise aus sogenannten privilegierten Staaten (z. B. USA, Kanada, Japan) ist es eher eine Formsache. Die Dauer des Verfahrens hängt aber auch von der personellen Ausstattung der zuständigen Behörden ab (Konsulat, Ausländerbehörde), ist also regional sehr unterschiedlich.
Was braucht man noch?
Für die Einreise von einem Nicht-EU-Staatsangehörigen wird in der Regel der Nachweis einer Krankenversicherung verlangt. Die gesetzliche Sozialversicherung beginnt ja erst mit der tatsächlichen Aufnahme der Beschäftigung. Daher ist für die Übergangszeit eine entsprechende private Absicherung erforderlich. Ohne einen solchen Nachweis wird in der Regel gar kein Einreisevisum erteilt.
Um die Lohnsteuer ordnungsgemäß abführen zu können, benötigt der Arbeitgeber die Steuer-Identifikationsnummer. Diese muss normalerweise nicht extra beantragt werden, sondern wird nach der Anmeldung beim Einwohneramt automatisch vergeben. Das kann aber einige Zeit dauern. Deshalb kann es sinnvoll sein, die Nummer vorab beim Bundeszentralamt für Steuern zu beantragen. Für die Zusendung an eine Adresse, die nicht der Meldeadresse entspricht, ist eine Vollmacht erforderlich. Mehr Informationen dazu unter www.bzst.de
In der Sozialversicherung spielt die Herkunft keine Rolle. Die bzw. der ausländische Auszubildende wird ganz normal angemeldet und eine Rentenversicherungsnummer beantragt. Allerdings: Wenn vor dem Beginn der Ausbildung eine Eingewöhnungszeit (auch zum Deutschlernen) vorgeschaltet ist, besteht Versicherungsschutz nur, wenn der Arbeitgeber dafür ein Entgelt oberhalb der Minijobgrenze zahlt. Andernfalls ist eine Absicherung zumindest in der Krankenversicherung erforderlich. Das kann bei EU-Bürgern und Staatsangehörigen von Abkommensstaaten (bilaterale Sozialversicherungsabkommen) auch durch eine Familienversicherung über die Eltern erfolgen, sollte aber auf jeden Fall vorher geklärt werden.
Weitere Hilfen
Es gibt zahlreiche Unterstützung und Hilfsangebote. Genannt haben wir schon die Vermittlung der Bundesagentur für Arbeit und die Kammern. Eine gute Zusammenstellung der Voraussetzungen für die Einstellung ausländischer Auszubildenden finden Sie zudem auf der Seite www.make-it-in-germany.com
Lesetipp für ausbildungsinteressierte Menschen: Ausbildung in Deutschland als Ausländer: Alles, was du wissen musstDu kommst aus dem Ausland und möchtest eine Ausbildung in Deutschland starten? Dann hast du ganz sicher viele Fragen: Welche Voraussetzungen muss ich erfüllen? Wie finde ich einen Ausbildungsplatz in einem deutschen Unternehmen? In diesem Artikel bekommst du Antworten auf deine Fragen sowie wichtige Tipps und Informationen zur Ausbildung in Deutschland. |