Azubi-Retention: Damit die Generation Zukunft bleibt

Was bewegt junge Menschen? Welche Aspekte sind ihnen in der Arbeitswelt wichtig? Und was müssen Ausbildungsbetriebe bieten, damit die jungen Arbeitskräfte im Unternehmen bleiben? Jugendforscher Simon Schnetzer erklärt im Gespräch mit Heidi Becker aus der AUBI-news-Redaktion, wie die Generation Zukunft tickt und worauf sich Ausbilderinnen und Ausbilder einstellen müssen.

Simon Schnetzer (links) sprach mit Heidi Becker aus der AUBI-news-Redaktion
Simon Schnetzer (links) sprach mit Heidi Becker aus der AUBI-news-Redaktion © AUBI-plus GmbH

Heidi Becker: Simon, „Die Generation Zukunft begeistern, gesunderhalten und erfolgreich binden“ war der Titel deines Vortrags auf dem 9. DEUTSCHEN AUSBILDUNGSFORUM. Warum ist Azubi-Bindung ein so wichtiges Thema?

Simon Schnetzer: Die junge Generation ist sich ihrer guten Position auf dem Arbeits- bzw. Ausbildungsmarkt bewusst. So zeigt unsere aktuelle Trendstudie Jugend in Deutschland 2024: Knapp zwei Drittel (64 Prozent) der befragten 14- bis 29-Jährigen sehen (sehr) gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt, 43 Prozent sind an einem Jobwechsel interessiert und jeder Vierte (24 Prozent) erhält Abwerbeangebote. In die Azubi-Bindung zu investieren ist eine Notwendigkeit für Ausbildungsbetriebe, denn die Alternative hieße, regelmäßig und für viel Geld neue Mitarbeiter zu rekrutieren und einzuarbeiten, was auf dem aktuellen Arbeitsmarkt nicht leicht ist und das Miteinander in Teams bei jedem Wechsel belastet.

Was braucht es denn, damit Azubis bleiben?

Im Grunde geht es beim Thema Azubi-Bindung immer um vier Dinge: Geld, eine gute Arbeitsatmosphäre, Bestätigung und Entwicklungsmöglichkeiten. Geld ist deshalb so wichtig, weil es Sicherheit bedeutet. Viele junge Menschen sind aufgrund der finanziellen Situation verunsichert, wie unser Sorgenranking zeigt: Dort stehen Inflation und teurer/knapper Wohnraum auf den Plätzen 1 und 3. Dementsprechend legen junge Menschen Wert auf eine angemessene Vergütung, eine positive Gehaltsentwicklung und bezahlte Überstunden.

Bei der guten Arbeitsatmosphäre geht es darum, sich wohlzufühlen und Spaß bei der Arbeit zu haben. Dazu zählen ein gutes Team, ein respektvolles, faires und wertschätzendes Miteinander, gute Führung bzw. gute Behandlung von Vorgesetzten und kein Stress.

Der Ausbildungsmarkt bietet jungen Menschen unendlich viele Möglichkeiten. Dazu kommt der Trend der Selbstoptimierung. Vor diesem Hintergrund braucht die junge Generation kontinuierlich die Gewissheit, mit der Wahl ihrer Ausbildung bzw. ihres Ausbildungsbetriebs eine gute Entscheidung getroffen zu haben. Das beginnt bereits mit dem Bewerbungsprozess und dem Preboarding.

Für junge Menschen ist es besonders wichtig, persönlich und beruflich zu wachsen, Fehler machen zu können und gefördert zu werden. Allerdings ist das Verständnis von Karriere für viele junge Menschen ein anderes als früher: Es geht weniger um Führungsverantwortung und mehr um einen gewissen Expertenstatus sowie eine gute Balance von Arbeit und Freizeit. 

Welche Rolle spielen die Ausbildenden bzw. Führungskräfte?

Gute Führung zahlt auf eine gute Arbeitsatmosphäre ein. Tatsächlich sind gute Vorgesetzte für 88 Prozent der Befragten (sehr) wichtig. Allerdings wird nur einem Drittel der Ausbilder bzw. Führungskräfte attestiert, ihre Aufgaben gut zu erfüllen. Unter anderem haben wir die jungen Menschen gefragt, ob ihre Führungskraft hilfreiches Feedback gibt, sie motiviert, einen guten Job zu machen, eine klare Vorstellung von den Zielen der Organisation hat und sie in ihrer persönlichen / beruflichen Entwicklung fördert. Lediglich 32 bis 35 Prozent der befragten jungen Menschen haben diese Fragen bejaht. Es gibt also Luft nach oben.

Viele Ausbildungsbetriebe berichten derzeit über einen steigenden Krankheitsstand und beklagen, dass die junge Generation nicht belastbar sei. Wie steht es um die Gesundheit der jungen Menschen?

Der Hauptgrund, sich krankzumelden, sind körperliche Krankheiten. Allerdings zeigen die weiteren Gründe für Krankmeldungen auch, dass es für die junge Generation kein Tabu ist, sich wegen psychischer Probleme krank zu melden. Ganz konkret reichen die Gründe von „Keine Lust auf Arbeit“ (jeder Dritte) über „Stressige Aufgaben und Gefühl von Überforderung“ (jeder Vierte) und dem „Gefühl innerlich ausgebrannt zu sein“ (ebenfalls jeder Vierte) bis zu „Probleme mich für den Tag zu motivieren“ (jeder Fünfte).

Tatsächlich stimmt ein Drittel der Befragten der Aussage „Meine psychische Belastung hält mich davon ab, so zu leben und zu arbeiten, wie ich will“ zu. Als größte Belastungen nannten die jungen Menschen Stress, Erschöpfung, Selbstzweifel und Antriebslosigkeit. 22 Prozent erleben sogar Depressionen, 11 Prozent sind aufgrund von psychischen Belastungen in Behandlung. Einen starken Zusammenhang haben wir außerdem zwischen der Screentime und den psychischen Belastungen der jungen Menschen festgestellt.

Was können Ausbildungsbetriebe tun?

Viele junge Menschen verlassen die Schule mit dem Gefühl, die wichtigsten Fähigkeiten fürs Leben nicht zu können - und fühlen sich dementsprechend gestresst und überfordert. Hier können Ausbilderinnen und Ausbilder unterstützen, Angebote machen und Kompetenzen aufbauen, z. B. Medienkompetenzen wie gesunder Umgang mit dem Smartphone, Resilienz, Stressbewältigung, Zeitmanagement und Selbstwirksamkeit.

Zum Umgang mit Stress eignet sich beispielsweise eine Azubi-Runde, in der sich die Azubis zu ihren besten Stress-Hacks austauschen. Spaß ist natürlich auch ein gutes Mittel gegen Stress! Weiterhin motiviert es junge Menschen, wenn sie Ziele erreichen und Erfolge feiern können. Auf diese Weise erfahren sie Selbstwirksamkeit und Wertschätzung. Ziele sollten fordernd sein, die Azubis jedoch nicht überfordern, sodass Erfolgserlebnisse möglich sind. 

Welchen abschließenden Rat hast du für Ausbilderinnen und Ausbilder?

Hinterfragen Sie sich einfach mal, wieviel Raum und Zeit Sie für das Miteinander und den Austausch mit Azubis verwenden. Wie häufig führen Sie in Ihrer Organisation beispielsweise Gespräche mit Ihren Auszubildenden? Und: Seien Sie bereit, sich auf Veränderungen bzw. veränderte Bedürfnisse Ihrer Azubis einzulassen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Über den Interviewpartner

Simon Schnetzer ist 1979 in Kempten im Allgäu geboren. Der studierte Volkswirt hat sich nach beruflichen Stationen in Berlin, Genf, London und Nairobi in seiner Heimat als Jugendforscher und Arbeitgebercoach selbstständig gemacht. Seit 2010 veröffentlicht er die Trendstudien  “Jugend in Deutschland”, in Österreich und in der Schweiz, um Verständnis zwischen Generationen zu fördern und die Zukunft der Arbeitswelt zu gestalten. Heute zählt er zu den Top-Speakern für die Generation Y, Z, Alpha und das Generationenmiteinander. Mit dem BindungsBooster Programm (www.bindungsbooster.com) unterstützt er Unternehmen als Arbeitgebercoach, um das Miteinander und die Bindung von Mitarbeitenden aller Generationen zu stärken. 

Literatur-Tipp

Die Trendstudie “Jugend in Deutschland 2024: Verantwortung für die Zukunft? Ja, aber“ präsentiert Einstellungen, Trends und Perspektiven der 14- bis 29-Jährigen (auch Generation Z genannt) in Deutschland. Ergänzend zu Themen wie Werte, Sorgen oder Zufriedenheit greift die Studie top-aktuelle Themen auf, wie Arbeitseinstellung & Mitarbeiterbindung, Statussymbole & Finanzen, Psyche & Smartphonenutzung, Nachhaltigkeit & Politik.

Ausblick

Das nächste DEUTSCHE AUSBILDUNGSFORUM  findet am 6. und 7. Mai 2025 in Bad Oeynhausen statt. Interessierte dürfen sich schon jetzt auf einen spannenden Austausch und zahlreiche Best Practices von Top-Ausbildungsbetrieben freuen. Infos und Tickets unter www.deutsches-ausbildungsforum.de

Weitere Artikel aus dieser Reihe

Quellen:

  1. Simon Schnetzer, Kilian Hampel und Klaus Hurrelmann: Trendstudie Jugend in Deutschland 2024 - 2024 - S. 1 bis 108
  2. Simon Schnetzer: Retention Hacking: Die Generation Zukunft begeistern, gesunderhalten und erfolgreich binden - 2024 - S. Vortrag auf dem 9. DEUTSCHEN AUSBILDUNGSFORUM
  3. Simon Schnetzer, Kilian Hampel und Klaus Hurrelmann: Tabellenband 14- bis 29-Jährige in Deutschland - 2024 - S. 1 bis 53

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