"Ausbildungsbetriebe müssen sich für digitales Recruiting öffnen"

Personalwirtschaft vom 01.09.2020 - Im Interview erklärt Ausbildungsexperte Jürgen Heidenreich, was die Corona-Krise für Ausbildungsbetriebe bedeutet, wie sie den Herausforderungen bei der Azubi-Suche, im Recruiting-Prozess und beim Pre-Boarding begegnen und welche Rolle digitale Medien dabei spielen.

Personalwirtschaft: Herr Heidenreich, wie haben die meisten Ausbildungsbetriebe auf die Pandemie reagiert? Was konnten Sie beobachten?

Jürgen Heidenreich: Die Betriebe haben ganz unterschiedlich auf die Corona-Krise reagiert. Es gibt einige Firmen, die sich von der Pandemie nicht haben abschrecken lassen. Bei ihnen hatte beziehungsweise hat die Krise entsprechend wenig bis gar keinen Einfluss auf die Azubi-Suche. Andere wiederum haben ihr Recruiting ganz eingestellt, weil sie schlecht abschätzen konnten – und das ist noch immer der Fall –, wie es wirtschaftlich weitergeht. Darüber hinaus gibt es Unternehmen, die zwar gerne Azubis einstellen würden, aber keine finden. Denn viele jungen Leute sind von der derzeitigen Lage verunsichert und verhalten sich zurückhaltend, was das Bewerben in einem Ausbildungsbetrieb angeht.

Vor welchen Schwierigkeiten stehen Unternehmen, die in der Corona-Krise Azubis einstellen möchten?

Dass bis vor kurzem noch keine größeren Veranstaltungen und somit auch keine Ausbildungsmessen stattgefunden haben, ist für die Unternehmen das wohl größte Problem. Ferner ist für die Ausbildungsbetriebe weitgehend der Weg versperrt, um sich in den Schulen zu präsentieren. Gerade für die kleineren Unternehmen, für Handwerksbetriebe und den Mittelstand, bedeutet das eine verringerte Aufmerksamkeit, da die Jugendlichen diese Unternehmen nicht so sehr im Fokus haben. Zu alldem waren während des Shutdowns und darüber hinaus kaum Praktika möglich, was ja sonst auch immer ein guter Ansatz für die Azubisuche ist.

Wie können die Unternehmen den derzeitigen Herausforderungen im Azubi-Recruiting begegnen?

Neben der Inanspruchnahme der Bundesagentur für Arbeit sind die Unternehmen gezwungen, sich auf die digitalen Kanäle zu beschränken. Sprich: Sie müssen verstärkt auf virtuellem Wege Azubis suchen und Angebote machen. In diesem Zusammenhang bieten Internetportale wie etwa AUBI-plus im Übrigen gute Kontakt- und Vermittlungsmöglichkeiten von Jugendlichen.

Wer sich nicht digital aufstellt, dem bleibt im Grunde nur noch das Empfehlungsgeschäft über Mitarbeiter und Kunden. Aber das hat meiner Ansicht nach bei weitem nicht die Reichweite wie der digitale Weg. Das heißt: Die Unternehmen müssen sich umstellen und sich für digitales Azubi-Recruiting öffnen. Ansonsten werden sie so lange es Corona gibt, es schwer haben, sich Nachwuchs zu sichern.

Wie laufen Bewerbergespräche derzeit ab?

Das handhaben die Unternehmen insgesamt unterschiedlich. Mein Eindruck ist aber, dass viele Ausbildungsbetriebe auch die Bewerbergespräche online durchführen. Wir bei der TK haben zum Beispiel die Bewerbergespräche durch die Bank als Videochat organisiert. Das funktioniert auch sehr gut, sodass bei uns derzeit so gut wie keine Präsenz-Vorstellungsgespräche mehr stattfinden.

Dass Recruiting digital stattfindet, müsste den potenziellen Azubis doch sehr entsprechen. Schließlich sind sie als Vertreter der Genz Z sehr internetaffin und viel in den sozialen Medien unterwegs.

Eine digitale Bewerbung ist für die jungen Leute sicherlich kein Problem. Von der Möglichkeit für Online-Bewerbergesprächen als solche, so bestätigen unsere Ausbilder, sind die Jugendlichen auch sehr angetan. Dennoch sind von Seiten der Bewerber auch Vorbehalte da, weil das gegenseitige Kennenlernen im Endeffekt nicht so persönlich ist. Gerade der persönliche Aspekt ist auch das allgemeine Manko der virtuellen Vorstellungsgespräche – insbesondere, wenn von Unternehmensseite mehr als eine Person am Gespräch beteiligt ist. Sich Face-to-Face auszutauschen, ist viel näher und lebendiger – man ist viel freier heraus.

Auf was müssen Unternehmen achten, wenn sie einen Azubi eingestellt haben?

Wichtig ist meiner Meinung nach, die Auszubildenden vom Tag des Unterzeichnens des Ausbildungsvertrages an ans Unternehmen zu binden. Gerade für die Unternehmen, die ihre Ausbildungsverträge sehr früh abschließen – bei einigen Anfang des Jahres oder Frühjahr – ist die Zeit bis zum Ausbildungsbeginn im August oder September sehr unsicher. Denn nicht selten denken die jungen Leute, sie finden vielleicht doch noch etwas Besseres und schauen sich weiter um. Dementsprechend erleben viele Firmen leider immer wieder, dass eingestellte Azubis nicht zum ersten Ausbildungstag erscheinen. Auf die Schnelle nachzubesetzen, ist dann sehr mühsam und oftmals auch nicht von Erfolg gekrönt.

Was genau sollten die Unternehmen also tun?

Sie sollten den Kontakt suchen in der Zwischenzeit – etwa, die Jugendlichen mit Informationen über das Unternehmen versorgen und sie zu (Online-)Unternehmensveranstaltungen einladen. Nützlich ist auch, ihnen den Kontakt zu den Azubis der anderen Jahrgänge herzustellen. So können sie sich mit diesen austauschen und eine gewisse Beziehung zum Unternehmen aufbauen. Ziel ist, dass die eingestellten Kandidaten gar nicht erst auf die Idee kommen, sich nach weiteren Ausbildungsmöglichkeiten umzuschauen.

von Petra Walther

Den Originalartikel finden Sie unter https://www.personalwirtschaft.de/personalentwicklung/ausbildung/artikel/digitales-azubi-recruiting.html

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