Schulnoten als Auswahlkriterium für Auszubildende überholt

Die aktuelle Lage in der betrieblichen Ausbildung zeigt: Die Besetzung der freien Stellen ist mit den vorhandenen Schulabgängern nicht mehr ohne weiteres möglich. Einerseits fehlen vielen Jugendlichen entsprechende Kompetenzen, andererseits nimmt die Anzahl der Schulabgänger demografisch bedingt ab.

Auf Schulnoten allein kommt es bei der Bewerberauswahl nicht an
Auf Schulnoten allein kommt es bei der Bewerberauswahl nicht an © Pixabay Public Domain

Bundesweit konnten 31 % der Betriebe im Jahre 2015 ihre Ausbildungsstellen nicht komplett besetzen. Gut ein Viertel dieser Betriebe erhielt nicht eine einzige Bewerbung, so die Ergebnisse der aktuellen DIHK-Ausbildungsumfrage. Neue Wege in der Bewerberauswahl können eine Entlastung in dieser schwierigen Situation darstellen.

Auf Schulnoten allein kommt es bei der Bewerberauswahl nicht an

Bislang sind Auswahlverfahren eher statisch: Sichtung der Bewerbungsunterlagen mit Augenmerk auf Zeugnisnoten und Anschreiben, gefolgt von einem Vorstellungsgespräch. Schüler mit unbefriedigenden Noten werden häufig abgelehnt oder gelten als „Notlösung“ bei der Bewerberauswahl. Nur können Unternehmen sich diese Herangehensweise noch leisten? Weisen Schulnoten tatsächlich eine gute Aussagekraft für den späteren Berufserfolg auf? Schließlich beklagen Personaler immer wieder, dass ihnen (qualifizierte) junge Bewerber für ihre Ausbildungsstellen fehlen.

Schule und Arbeit sind zwei verschiedene Welten

In Zeiten, in denen sich ausbildende Unternehmen nicht mehr die Bewerber aussuchen können, sondern vielmehr die leistungsstarken Schulabsolventen die Wahl des Betriebes treffen, ist ein Festhalten an alten Auswahlverfahren wenig zielführend. Stimmen werden laut, die vom Umdenken in der Azubi-Bewerberauswahl sprechen.

Gründe, warum ein bestimmtes Notenniveau nicht erreicht werden konnte, gibt es viele. So sind persönliche Probleme, falsche Vorgehensweise beim Erlernen des Stoffes oder mangelhafte Lehrerbefähigung immer wiederkehrende Probleme. Zudem existieren viele unterschiedliche Schulformen, die eine Vergleichbarkeit der Noten erschweren. Darüber hinaus gilt: Besteht Interesse an dem Beruf, geht der Bewerber mit ganz anderer Motivation in die Arbeitswelt, als er in die Schule gegangen ist.

Unternehmen stehen vor der Herausforderung Methoden zu entwickeln, um Potentiale unter den Bewerbern herauszufiltern. Manche mögen gemäß ihrer Noten zwar nicht geeignet erscheinen, am ehesten festmachen lässt sich dies aber anhand der Persönlichkeit des Jugendlichen. Noten ergeben nur bedingte Rückschlüsse auf das Potential eines Bewerbers. Interessanter ist vielmehr, ob der angehende Lehrling das notwendige Interesse, die Motivation, den Willen, das Talent und die Befähigung mitbringt, in dem Unternehmen zu arbeiten und den Beruf (erfolgreich) zu erlernen.

Aktuelles Thema mit viel Potential

Doch wie können Personaler erkennen, welches Potential ein Bewerber mitbringt? Die Fachwelt bietet unterschiedliche Ratschläge und Methoden: Angefangen bei Praktika und Probearbeiten, über Assessment-Center und Gruppengespräche bis hin zu (kostenpflichtigen) Testverfahren. Das Angebot an diagnostischen Instrumenten ist riesig, die Nachfrage nach Potentialanalyseverfahren auch. Unternehmen sollten die Angebote vergleichen und überprüfen, welches Instrument mit seinen Spezifikationen zu den angebotenen Ausbildungsberufen passt.

Der Potential- und Eignungsdiagnostiker Wolfgang Kring erklärt, dass Noten in ihrer Aussagekraft zur Berufseignung begrenzt seien: „Schulnoten fragen nur erlerntes Wissen ab, nicht aber für einen Beruf entscheidende Merkmale wie beispielsweise Merk- und Lernfähigkeit.“ Aussagefähiger seien Intelligenz-, Leistungs- und Persönlichkeitstests. Laut Kring sei es wichtig, im Auswahlprozess herauszufinden, welche Potentiale ein Bewerber mitbringt. „Wissen und Können sind erlernbar und somit auch während der Ausbildung vermittelbar. Potentiale wie Merkfähigkeit oder auch Intelligenz sind nicht erlernbar.“ Die Systeme, die zur Potentialanalyse eingesetzt werden, erfassen laut Kring idealerweise folgende Parameter: Die kognitiven Fähigkeiten, um die Anforderungen des Berufs zu erfüllen, die zum Berufsbild passende Persönlichkeit sowie die Motivation für das Berufsbild.

Ein Umdenken ist wichtig

Bislang machen sich die meisten Unternehmen nicht die Mühe, differenziertere Auswahlverfahren für Azubis zu wählen. Der finanzielle und auch personelle Aufwand ist zu hoch. Die Frage bleibt: Sollen Unternehmen für ihre Auszubildenden so viel Geld und Zeit investieren, wie sie teilweise für Fach- und Führungskräfte aufwenden? „Ja“, sagt Kring. Und er geht noch einen Schritt weiter: „Unternehmen sollten nicht nur in die Auswahl der Azubis, sondern auch in die Bindung bis zum ersten Arbeitstag und in die Bindung während der Ausbildung investieren.“ Würden die Bemühungen nach der Auswahl des Bewerbers aufhören, bestünde eine zu hohe Gefahr, dass dieser die Ausbildung doch nicht antritt. Schließlich bewerben sich die Unternehmen mittlerweile auch bei den jungen Menschen.

Für die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen und der Wirtschaft ist es wichtig, Jugendliche auszubilden und als eigenen Nachwuchs heranzuziehen. Um junge Menschen überhaupt für sich zu gewinnen, müsse der Auswahlprozess für den Bewerber schneller und attraktiver sein, so Kring weiter. Für das Unternehmen sei wichtig, dass der Prozess qualitativ hochwertig bleibt. „Wenn ein Bewerber nicht passt, dann passt er nicht! Lieber keinen als den falschen! Selbst wenn man nur drei Bewerbungen erhält, hat man dennoch die Auswahl.“ Laut Kring müssen Unternehmen ihre Anforderungen an die Stelle beibehalten, es sei allerdings notwendig, auch mal Alternativen zu prüfen.

Die erste Umsetzung erfolgt bereits

Es existieren einige Unternehmen, die bereits reagiert haben und die Schulnoten innerhalb des Bewerbungsprozesses nicht mehr so hoch gewichten. Sie werden weiterhin betrachtet, jedoch stehen ihnen andere Kriterien gleichwertig gegenüber. Das Gesamtbild zählt, welches ein Bewerber im kompletten Bewerbungsauswahlprozess abgibt, also auch Kompetenzen und Persönlichkeit.

Es scheint unumgänglich: Die Auseinandersetzung mit neuen Methoden der Bewerberauswahl kommt früher oder später auf alle Unternehmen zu. Auch eine Investition in Testverfahren sollte ein jedes Unternehmen für sich ernsthaft prüfen.


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