Flüchtlinge als Azubis: Interview mit NUiF
In den letzten Jahren sind tausende Menschen nach Deutschland gekommen, um ein besseres Leben führen zu können. Das NETZWERK Unternehmen integrieren Flüchtlinge (NUiF) setzt sich dafür ein, dass mehr Unternehmen auf Flüchtlinge als Auszubildende und Arbeitskräfte setzen. Wir haben mit Sarah Strobel über das Projekt, Chancen und Handlungsempfehlungen gesprochen.
Frau Strobel, Sie leiten zusammen mit Ihrer Kollegin Marlene Thiele das Projekt „Netzwerke Unternehmen integrieren Flüchtlinge“, das als eine Initiative des Deutschen Industrie- und Handelskammertags 2016 aus der Taufe gehoben wurde. Bitte stellen Sie das Projekt kurz vor.
Mit über 2.750 Mitgliedern ist das NETZWERK Unternehmen integrieren Flüchtlinge deutschlandweit der größte Zusammenschluss von Unternehmen, die sich für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten einsetzen. Wir sind Berater, Austauschplattform und unaufgeregtes Sprachrohr in Politik und Gesellschaft hinein. Gemeinsam mit unseren Mitgliedern suchen wir nach Antworten auf Fragen wie diese: Wie kann man geflüchtete Menschen kennenlernen und ihre Qualifikationen einschätzen? Welche Begleitung brauchen sie im Arbeits- und Ausbildungsalltag? Wie kann man Auszubildende mit Fluchthintergrund erfolgreich auf die Abschlussprüfung vorbereiten? Was braucht die Stammbelegschaft, um die neuen Kolleginnen und Kollegen gut aufzunehmen?
Unsere Antworten und guten Beispiele aus dem Betriebsalltag der Mitglieder tragen wir über monatliche Webinare und Workshops in die deutsche Unternehmenslandschaft hinein. Zusätzlich steht unser Team den Mitgliedern per E-Mail und telefonisch zur Verfügung, z. B. wenn diese Fragen zu Gesetzesänderungen haben. Darüber hinaus fassen wir die teilweise komplexen Informationen und Gesetze in praktische Publikationen und Workbooks zusammen. Die Mitgliedschaft und Nutzung aller Angebote sind dabei kostenfrei.
Ein klarer Schwerpunkt liegt auf der Beratung zum Thema Ausbildung für Geflüchtete. Zu welchem ersten Schritt raten Sie Unternehmen, die beginnen möchten, Personen mit Fluchthintergrund auszubilden?
Wenn Unternehmen diesen Schritt zum ersten Mal gehen, geben wir gerne zwei Tipps mit auf den Weg: Zum einen die Überlegung, wie und wer beim Sprachelernen und in der Berufsschule unterstützen kann. Hier ist beispielsweise ein Pate im Unternehmen – im Idealfall ein Azubi aus einem höheren Jahrgang – ein Weg, den viele Betriebe gehen. Dazu gehört auch die frühzeitige Beschäftigung mit sprachlichen und interkulturellen Missverständnissen und wie man mit diesen gut umgehen kann.
Zum anderen empfehlen wir allen Betrieben, wenn möglich, eine Einstiegsqualifizierung der regulären Ausbildung vorzuschalten. Dieses finanziell geförderte Langzeitpraktikum ermöglicht ein intensives Kennenlernen der KandidatInnen für den Ausbildungsplatz. Gerade die Frage, ob die Sprachkenntnisse ausreichend sind, kann so vorab gut geklärt werden.
Welche Hürde ist denn Ihrer Erfahrung nach die höchste für Unternehmen, um sich für eine Beschäftigung von Personen mit Fluchthintergrund zu entscheiden?
Wir befragen einmal im Jahr unsere Mitglieder zu den größten Herausforderungen bei der Integration von Geflüchteten: 2020 waren das für die Betriebe „Schwierigkeiten in der Berufsschule“, „komplizierte Verfahren und Vorschriften“ und „Unsicherheiten in der Personalplanung wegen drohender Abschiebung“ sowie „sprachliche Hürden“. Gerade für die Ausbildung spielen die Sprachkenntnisse eine große Rolle: Während die praktische Verständigung im Betrieb häufig sehr gut funktioniert, stoßen die Azubis in der Berufsschule und bei Prüfungen an ihre Grenzen. Betriebe empfehlen BewerberInnen mit Zuwanderungsgeschichte daher ein Sprachniveau von B2 für den Start in die Ausbildung. Wir bieten als NETZWERK gerade zu diesem Themenkomplex sehr viele (digitale) Workshops und Informationsmaterialien für unsere Mitglieder an – zum Beispiel ein Workbook zur Prüfungsvorbereitung für die Auszubildenden und Sprachflyer für verschiedene Branchen.
Welche Möglichkeiten haben Unternehmen überhaupt, mit Flüchtlingen in Kontakt zu treten? Passiert das Ihrer Erfahrung nach eher „zufällig“, durch persönliche Kontakte z. B. in einem Sportverein?
Diese Frage bewegt viele Unternehmen. Kontakte entstehen z. B. über ehrenamtliche Initiativen vor Ort, die Bundesagentur für Arbeit oder über sogenannte WillkommenslotsInnen, die bundesweit BewerberInnen mit Fluchthintergrund und Betriebe matchen. Allen Betrieben, die gerade noch auf der Suche nach Auszubildenden sind, empfehlen wir Kontakt zu den WillkommenslotsInnen aufzunehmen. Diese vermitteln nicht nur in Ausbildung und Arbeit, sie unterstützen die Betriebe auch vor Ort beim Aufbau einer Willkommenskultur und dem Kontakt zur Ausländerbehörde, wenn rechtliche Fragestellungen auftreten.
Das Schul- und Ausbildungssystem in Deutschland zu verstehen, ist für viele sicherlich eine gewisse Hürde. Wie kann eine gute Zusammenarbeit mit den Berufsschulen gelingen?
Bei der dualen Ausbildung sind Betrieb und Berufsschule gefragt: Wir empfehlen AusbilderInnen bereits zum Ausbildungsstart proaktiv Kontakt zur Berufsschule zu suchen. Regelmäßige Gespräche und die Teilnahme an Ausbildungssprechtagen helfen, frühzeitig Defizite zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Gemeinsam kann dann beschlossen werden, die Assistierte Ausbildung flex in Anspruch zu nehmen oder sich an die ehrenamtliche Initiative VerA „Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen“ zu wenden. Wichtig ist: Der Betrieb ist hier nicht allein. Es gibt erfolgreich erprobte Instrumente und Fördermaßnahmen, die beim Weg durch die Ausbildung unterstützen.
Unternehmen können sich zu all diesen Fragen und Herausforderungen gerne auch an das NETZWERK-Team wenden: Wir beraten und teilen gute Beispiele aus dem Ausbildungsalltag anderer Unternehmen.
Sicherlich gibt es Faktoren, die Unternehmen zögern lassen, Flüchtlinge als potenzielle Auszubildende in den Blick zu nehmen. Angefangen bei der Sprachbarriere, über mögliche Vorbehalte in der Belegschaft und nicht zuletzt der richtige Umgang mit den oft traumatisierten Personen. Welche Handlungsempfehlungen halten Sie bei solchen Vorbehalten bereit?
Die Erfahrung aus der Praxis zeigt: Den einen Weg zur erfolgreichen betrieblichen Integration von Azubis mit Fluchthintergrund kann es nicht geben, da die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Kulturen immer individuell und von vielen Faktoren abhängig ist. Wir ermuntern die Betriebe ganz offen auch über Herausforderungen und Hürden zu berichten. Inzwischen haben so viele Betriebe Erfahrungen gesammelt, dass für die meisten Probleme gute Lösungen entwickelt wurden.
Solche Konzepte für mehr Vielfalt im Betrieb stellen wir in unserem Integrationskompass vor (www.nuif-integrationskompass.de). Jedes Unternehmen kann dort selbst prüfen, welche Maßnahmen am besten passen und möglichst unkompliziert in den Betriebsalltag aufgenommen werden können. Und auch hier gilt: Der Betrieb ist nicht alleine und muss nicht alles selbst regeln. Wenn es um den richtigen Umgang mit Traumata geht, gibt es zum Beispiel Psychosoziale Zentren in allen Bundesländern, die Unternehmen unterstützen.
Bei Vorurteilen oder Vorbehalten in der Stammbelegschaft raten wir dazu, frühzeitig aktiv zu werden. Eine offene und transparente Kommunikation der eigenen Werte und Ziele gegenüber der Belegschaft kann helfen, Vorbehalte abzubauen.
Gibt es für die Betriebe, gerade auch für kleinere, in denen die Personaldecke knapp ist, auch hier spezielle Beratungsstellen oder Hilfen?
Die gibt es auf jeden Fall. Wie schon erwähnt, unterstützen beispielsweise die WillkommenslotsInnen Betriebe bei rechtlichen Fragestellungen und geben Tipps, wie man mit Vorbehalten in der Belegschaft umgeht. Ein großer Vorteil ist, dass sie vor Ort zur Stelle sind und auch gerne im Betrieb vorbeikommen, um Herausforderungen persönlich zu besprechen.
Staatliche Förderinstrumente wie die Einstiegsqualifizierung und die Assistierte Ausbildung flex werden häufig zur Verbesserung der Sprachkenntnisse genutzt. Und auch wir als NETZWERK haben eine starken Fokus auf KMU (fast 80% unserer Mitglieder sind kleine und mittelständische Unternehmen) und beraten jederzeit gerne – z.B. auch dazu, welche Förderung es in den einzelnen Bundesländern gibt.
Ihr Projekt ist im Zuge der Flüchtlingswelle von 2015 entstanden. In den letzten Monaten hat das Thema Afghanistan der Flüchtlingsfrage noch einmal einen Schub gegeben. Merken Sie das in den Anfragen?
In letzter Zeit haben sich viele Betriebe gemeldet, die Menschen aus Afghanistan beschäftigen. Es geht dann häufig um die Frage, wie noch im Land lebende Verwandte über den Familiennachzug nach Deutschland kommen können, oder ob geduldete Afghanen Folgeanträge stellen sollten. Es ist wirklich beeindruckend mit wie viel Engagement die Unternehmen ihren Auszubildenden und Mitarbeitenden in dieser schweren Lage zur Seite zu stehen.
Und zukünftig? Experten prognostizieren auch vor dem Hintergrund des Klimawandels kein Abreißen der Migrationsbewegungen. Wie schätzen Sie die Entwicklung ein? Wird es irgendwann vielleicht ganz „normal“ sein, einen geflüchteten jungen Menschen im Team zu haben?
Für die meisten unserer Mitgliedsunternehmen ist es das schon heute. Immer mehr Unternehmen beschäftigen Geflüchtete oder planen es perspektivisch. Die stetig steigende Zahl an Mitgliedern und die positiven Rückmeldungen der NETZWERK-Mitglieder zeigen, dass das Thema auch bei sinkender Anzahl an Asylanträgen relevant bleibt.
Die zentrale Motivation der Arbeitsmarktintegration ist für unsere Mitglieder die Übernahme sozialer Verantwortung und der Fach- und Hilfskräftemangel. Unternehmen beklagen seit Jahren den Umstand, Ausbildungsplätze und offene Stellen nicht besetzen zu können. Der Fachkräftemangel ist in bestimmten Branchen der deutschen Wirtschaft deutlich zu spüren und ist auch trotz der Corona-Pandemie eine der großen Herausforderungen für viele Unternehmen geblieben. Um offene Stellen nachhaltig besetzen zu können, müssen neue Wege der Rekrutierung gegangen werden. Internationale Arbeits- und Fachkräfte werden in diesem Zusammenhang immer wichtiger. Auch geflüchtete Menschen bieten großes Potential, die gesuchten Arbeitskräfte zu finden und langfristig zu binden. Wir setzen daher darauf, dass unser NETZWERK weiterwächst und hoffen, die vielen engagierten Betriebe noch lange begleiten und beraten zu dürfen.
Vielen Dank für die Einsichten in Ihre spannende Arbeit!
Statement von NUif zur Lage in der Ukraine (März 2022) Der Einsatz der Unternehmen ist angesichts der Bilder aus der Ukraine und der Ankunft von Geflüchteten in Deutschland enorm. Die Hilfsangebote sind vielfältig. Neben Sach- und Geldspenden stellen Betriebe beispielsweise Wohnraum zur Verfügung oder Teams organisieren den Transfer von Geflüchteten aus den Grenzregionen. Das soziale Engagement der Betriebe steht aktuell noch im Vordergrund. In einem zweiten Schritt wollen Betriebe aber auch berufliche Perspektiven in Form von Praktika und Beschäftigung ermöglichen. Denn eine Arbeitsstelle kann helfen finanziell unabhängig zu sein, Normalität zurückzugewinnen und eine Perspektive für die Schutzsuchenden bieten. Der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ist für Geflüchtete aus der Ukraine unbürokratisch und unkompliziert geregelt. Für den Zeitraum des vorübergehenden Schutzes nach § 24 Aufenthaltsgesetz können sie eine abhängige oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausüben. Auch der Zugang zu Förderangeboten und zu Sprachkursen ist damit weitgehend gegeben. All das gilt prinzipiell auch schon ab dem Zeitpunkt, zu dem der Antrag auf vorübergehenden Schutz gestellt ist. Aktuell sind viele Geflüchtete aus der Ukraine aber noch sehr stark mit dem Ankommen beschäftigt, mit der Suche nach einer geeigneten Unterbringung und der Betreuung der Kinder. Wir haben als NETZWERK wichtige rechtliche Fragestellungen für Betriebe zusammengefasst. |
Über das Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge (NUiF)
Das NETZWERK Unternehmen integrieren Flüchtlinge wurde im Jahr 2016 gegründet und ist der bundesweit größte Zusammenschluss an Unternehmen, die die Arbeitsmarktintegration Geflüchteter in Deutschland nach vorne bringen. Das NETZWERK wird durch Fördermittel des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie sowie durch Eigenmittel des Deutschen Industrie- und Handelskammertag e.V. finanziert. Mehr Infos gibt es auf ihrer Website: www.nuif.de